Heute geht es wieder einmal um einen Begriff, der aus "Einfach Systemisch" stammt. Es geht um das "Reframing".
Reframing bedeutet, einen Bedeutungszusammenhang anders zu deuten, also umzudeuten und somit einen neuen Sinn dahinter zu entdecken.
Ich glaube, ich habe dafür ein sehr gutes Beispiel aus meinem eigenen Unterricht:
In einer meiner Englischklassen hatte ich vor einigen Jahren einen Schüler, der sehr häufig auffiel durch besonders lautes Verhalten. Es kam vermehrt vor, dass er, wenn ich eine Frage stellte und seine Mitschüler sich meldeten, die Antwort dazwischen rief. Auch war es häufig in Arbeitsphasen der Fall, dass er sich zu Mitschülern hinüberlehnte und ihre Lösungen "korrigierte" oder aber ihnen Lösungen sogar vorgab. Ich empfand es damals als sehr lästig und destruktiv für meinen Unterricht. Ich dachte, "Dieser Schüler will mir meine Rolle als Lehrer streitig machen."
Irgendwann besprach ich das Problem mit einer Kollegin und diese meinte im Scherz, "Drück ihm doch mal die Kreide in die Hand. Mal schauen wie lange er durchhält."
Dieser Satz hat es mir ermöglicht, die Situation anders zu sehen. Ich überlegte wie der Schüler sich wohl in der Lehrerrolle verhalten würde, wenn ich sie ihm freiwillig überliesse, und kam zu der verblüffenden Erkenntnis, dass es vielleicht gar kein uninteressanter Versuch wäre, dies auszuprobieren.
Ich drückte ihm in der nächsten Lektion nicht wirklich die Kreide in die Hand, aber ich nahm ihn zur Seite und fragte, ob er wohl bereit wäre, zwei schwächeren Mitschülern an die Hand zu gehen, indem er sie im Unterricht beim Lernen unterstütze. Dabei erklärte ich, dass viele andere Schüler die Lösungen bereits sehr oft nannten, wenn diese beiden Schüler ihr Nachdenken noch nicht abgeschlossen hatten und deshalb nicht wirklich selbst lernten sondern nur hörten und dann wieder vergassen. Ich frage den Schüler, ob er bereit wäre, darauf zu achten, dass diese Schüler in der Lektion mehr zu Wort kämen. Er erklärte sich sofort bereit und das Ergebnis war verblüffend. Nicht nur hielt er sich im Unterricht selbst mit seinen Antworten zurück, sondern achtetete er sogar darauf, dass auch andere Schüler Antworten nicht hereinriefen. Und wenn er sich den beiden schwächeren Schülern zuwandt, lieferte er ihnen nun nicht mehr die korrekten Lösungen, sondern erfragte sie äusserst geschickt.
Das Reframing geschah hier in meiner Sichtweise, indem ich die Möglichkeit angedacht habe, dass der Schüler mir eben nicht meine Rolle als Lehrer streitig machen wollte (bösartig war), sondern vielleicht einfach nur das Bedürfnis hatte, seinen Mitschülern zu helfen (gute Absichten hatte). Wie sich herausstellte, war dies tatsächlich der Fall und ich konnte durch das Reframing die Option wählen, das Verhalten des Schülers positiv für meinen Unterricht zu nutzen. Ohne Reframing wäre das nicht möglich gewesen, da ich keinen positiven Nutzen in seinem Verhalten erkennen konnte.
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